Von Gatow nach Groß Glienicke

Wochenende. Man müsste mal wieder aus dem scheußlichen Berlin hinaus.

Zu diesem Zweck besitze ich ein Auto, mit dem ich mal nach Gatow fahren könnte. So seltsam das klingt, ich tue damit sogar etwas fürs Klima. Ich verbessere mit diesem Trip das Klima. Doch, ehrlich.

Das Autohasser-Klima.

Denn das hat sich, auch nach dem Abgang der Verkehrssenatorin Günther, Deutschlands wütendster Autohasserin, nicht sonderlich verbessert. Die neue, dummerweise ebenso grüne Verkehrssenatorin lobt die schräge Idee einer Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“: Privatfahrten in den Berliner S-Bahn-Ring hinein (immerhin 88 qkm) sollen nur noch 12-mal, also in Worten exakt zwölf Mal pro Jahr erlaubt sein. Zwar hat die Senatsverwaltung das als „absurder Schwachsinn“ (also sinngemäß) abgelehnt. Aber in Berlin weiß man ja nie.

Sobald ich also Frau S. in Köpenick abhole, um mal nach Gatow zu fahren, ist das Autohasser-Klima in der Stadt um ca. 4,70 Meter gesunken. Denn ich bin ja weg. Unterwegs. Ein Auto weniger.

Gerne nehme ich das Angebot des Brandenburger Wirtschaftsministers Jörg Steinbach an:

Ich starte also mein (noch immer nicht angezündetes) braves Auto. Nach Köpenick, zu Frau S., und dann auf Brandenburger Gebiet emsig westwärts. Zwar hat auch Teltow oder Potsdam die eine oder andere Ampel, aber ohne die vor Wut und Hass verzerrten Gesichter der Fußgänger am Fahrbahnrand. Doch, Herr Steinbach, das hat was.

Ja, und was wollen wir überhaupt in Berlin-Gatow?

Natürlich Flugzeuge gucken. Auf dem alten Allierten-Flugplatz, heute „Luftwaffenmuseum“. Dessen Zugang wir vor Jahren nicht fanden. Aufgrund Dummheit oder seltsamer Straßenführung.

Inzwischen aber war ich ja mit meinen Eltern dort, gewiss erinnern die Leser das bewegende Foto meines bewegten Vaters vor der „Dakota“ DC 3, die den Steppke 1945 in den Westen flog.

Heute sollen noch mehr Flieger da sein. Eine Sonder-Ausstellung. Auch die Cessna von Matthias Rust soll herumstehen. Und die habe ich ja noch nie angefasst.

Natürlich habe ich noch einige mehr Dinge niemals angefasst, z.B. die Chinesische Mauer. Wohl aber das Empire State Building, so ganz ohne ist Tarzan ja nun doch nicht.

Aber die Cessna von Matthias Rust? Der alte Fliegerhorst Gatow wäre jetzt eine Gelegenheit. Undenkbar, sie verstreichen zu lassen.

Ja, es sind ungleich mehr Flugzeuge da als bei meinem letzten Besuch. Brutal ausschauende Kampfjets natürlich, es ist ja ein „Luftwaffenmuseum“. Die schon lange als Inventar herumstehenden „Pershing“-Raketen hat man jetzt aber immerhin von den Bungalows der auf den Nachbarwiesen entstandenen „Landstadt Gatow“ weggedreht. Ich fand die Ausrichtung schon bei meinem ersten Besuch befremdend.

Frau S. ist schwer begeistert von den vielen verschiedenen Modellen. Die Namen „Antonov“, „MIG“ und „Suchoj“ sind der Mongolin, die ganz nebenbei in Jekaterinburg studiert hat, nicht ganz unbekannt.

Schneller als der Cinquecento: Das F-86K-Jagdflugzeug wurde bei Fiat in Turin endmontiert

Mir dagegen ist neu, dass die Dinger nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 (hoffentlich bleibt das so) von der Bundeswehr benutzt wurden.

Oder sagen wir: verwahrt.

Die Bomber stammen aus Rostock, Fürstenfeldbruck oder auch sonstwo. Ob sie in Teilen hergebracht und montiert wurden, oder gar selbst herflogen, ist nicht immer ganz klar. Die „Canberra B Mk 2“ jedenfalls, auffallend orange, ist schon immer hier, sie stand damals quer in der Ferne, jetzt artig aufgereiht zwischen den „Kollegen“.

Und sie ist ganz allein hergeflogen. Na ja, einen Piloten gab es. Wäre ja noch schöner.

Aber wo ist denn nun die Cessna von Matthias Rust?

Ach so, da hinten im Museumshangar. Eine große Halle hinter der schmalen Dauerausstellung ist jetzt offen. Da steht sie, gleich vorn. Anfassen, sofort. Schließlich bin ich hier, um die Rust-Cessna anzufassen.

Nur eine Tragfläche?
1987, bei Matthias Rusts legendärem Moskau-Flug, waren es noch zwei. Der Tollkühn-Pilot hielt das (zu Recht) für stabiler

Seltsam: Sie hat nur eine Tragfläche, die linke ist entfernt. Ohne dass ich jetzt Matthias Rust in der Halle erblicke (er müsste jetzt auch schon in den 50ern sein), denke ich, dass man sie absichtlich entfernt hat. Aus Sicherheitsgründen. Falls Matthias Rust doch hier (getarnt) herumlungert. Man will wohl einen erneuten Sensationsflug verhindern.

Diese Maschine war vor 35 Jahren in Moskau, und ich fasse sie jetzt an. So Gott will, wird eine metaphysische Verbindung, vielleicht eine Art Strahlung, dorthin zurückkehren. Möge daraufhin Wladimir Putin der Schlag treffen.

Es ist gemeinhin nicht meine Art, in diesem Blog Todeswünsche zu verbreiten. Schon gar nicht nach dem Beitrag „Plötzlich und unerwartet“. Aber ein „Schlag“, so wie ihn meinen liebsten Freund R. getroffen hat (der übrigens nie die Ukraine mit Raketen beschoss), der wird ja wohl erlaubt zu wünschen sein. Wer stimmte da nicht zu?

Was der Krieg anrichtet, ist in der Dauerausstellung zu sehen. Der ausgebrannte Kampfflieger steht in krassem Gegensatz zur einstigen deutschen Kolonie Tsingtao in China. Auch das war mir entfallen. Die historischen „Tsingtao“-Bierflaschen in der Vitrine lassen mich für die nächste Bier-Order im China-Restaurant dann auch eher nachdenklich zurück.

Genug Geschichtliches. Wir wandern ins Grüne, am Westufer des Groß Glienicker Sees entlang. Und wie überall in Berlin, nein, wir sind ja jetzt in Brandenburg, geht es doch nicht ohne Geschichtliches. Die Mauerreste am „Spandauer Tor“. Frau S. ist leicht überrascht.

„Sind wir jetzt in Brandenburg?“

„Ja. Die Grenze war mitten im See. Bojen, Stacheldraht bis zum Seeboden, Schießbefehl, da drüben ist Kladow, das ist wieder Berlin.“ Frau S. ist angemessen schockiert. Hier, an diesem Weg am See entlang, erkennt man auch nach Jahrzehnten den Irrsinn des real existierenden Sozialismus.

Es war das Gebiet der „Hinterlandmauer“. Sperrgebiet. Anwohner der parallel verlaufenden Dorfstraße durften nicht mehr ans Wasser, wurden enteignet, wir spazieren gerade durch ihre früheren Gärten.

Die Gärten gibt es natürlich wieder. Auch die einst enteigneten Wohnungen. Welche Mietpreise nach der „Neu-Erschließung“ verlangt werden, lassen wir besser unerwähnt.

Wir wandern zur „Seeperle“, dort war ich vor ca. 100 Jahren mal mit dem Fahrrad.

Ich rede jetzt immer viel von „100 Jahren“. Seit dem Tod von R. Oder auch schon vorher. Ein „running gag“. Wenn man älter wird, entwickelt man solche „running gags“.

Das ist der Frühling in Ber …, äh, Groß Glienicke

Also „Seeperle“. Eine Bude an der Dorfstraße, mit lang abfallender Wiese zum Seeufer. Bockwurst, Bier, Eis. Der Wirt erzählt, dass er noch nicht 100 Jahre da ist, sondern erst acht. Und auf der Wiese unten wird er Ende August wieder Freiluftkino mit Riesenleinwand machen. Es gibt „Tschick“, sein absoluter Lieblingsfilm.

„Och, schade“, sage ich.

„Wieso?“

„Grad erst im Fernsehen gesehen.“

„Ach ja? Und? Wo finden wir uns?“

„Letzter sicherer Ort!“, brülle ich.

Eine markante Schlüsselszene aus „Tschick“. Wir beide lachen. Jetzt bin ich voll in Groß Glienicke integriert.

Auf dem Rückweg zum Auto passieren wir den Park des einstigen Ritterguts. Direkt am Mauerweg. Auf dem Fahrrad damals hatte ich ihn nicht entdeckt. War wohl wieder zu schnell.

Sehr verborgen in dichtem Grün: das Grabmal
der Familie derer von Wollank im rechten Bild

In dem verwilderten Waldstück entdecken wir die Reste einer Burg und das Grabmal der Familie von Wollank. Einer daraus, Otto, stiftete 1900 den Guts-Kindergarten. Der gelbe Backsteinbau steht noch.
Und Frau S. staunt. Einst wohnte sie in der Wollankstraße im Wedding. Drollig, so schließt sich ein Kreis.

Ein anderer, weniger drollig, schließt sich Dienstag. Um 11.30 Uhr ist R.s Beisetzung in Hamburg. Das bedeutet ziemlich frühes Aufstehen.

Daher Schluss für heute. Macht’s gut.