Slice of life

„Slice …“ was?

Was hat Tarzan jetzt wieder vor, wird man sich fragen. Dabei bezeichnet „Slice of life“ kein bedeutendes Ereignis, sondern einen „Ausschnitt aus dem Leben“. Woher habe ich diesen Ausdruck? Vom Blog https://kathakritzelt.com/. Da sieht man, wie lehrreich es ist, gewissen Blogs, z.B. meinem, zu folgen.

Wie komme ich nun auf jenen „Slice of life“? Sollte ich nicht heftig unterwegs sein, so wie es der Name dieses Blogs suggeriert?

Da Tarzan sehr langsam ist, hat er noch unzählige „Spiegel“-Ausgaben seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie nicht gelesen, sie stapeln sich akkurat in der neuen Görlitzer Wohnung, brav nach Jahrgängen sortiert.

Der „Spiegel“ vom 5. September 2020 hat als Titel-Story „Homeoffice – Frust und Freiheit“. Ich durfte das ja (übrigens fünf Tage später als der Bayer-Konzern) genießen. Wobei es mehr Freiheit als Frust war. Zumal das Homeoffice, wie der „Spiegel“ prognostizierte, für viele ein höchst angenehmer Dauerzustand wurde.

Natürlich gab es auch Gegenstimmen, wie z.B. die S-Bahn-Fahrerin aus Stuttgart: „Für mich wäre Homeoffice nichts.“ Das fanden gewiss viele Stuttgarter Fahrgäste auch total okay.

Andere jedoch, im Homeoffice „glücklich befreit“ oder auch „gefangen“, posteten „Slice of life“. Eben einen Ausschnitt aus einem ganz normalen Leben. Ohne Handlung. Ohne Dramatik. Ohne Kulminationspunkt.

Genau so etwas versuche ich jetzt. Literarisch höchst fragwürdig, weil es nicht, wie z.B. James Joyce‘ „Ulysses“ einen einzigen Tag beschreibt. Sondern winzige Dinge, die mir, über Tage hinweg, in der Nähe, auffallen. Oder -fielen.

Das Austragen des „Wochenkurier“. Seit 17. Februar mache ich das schon. Offenbar so zuverlässig, dass Ende März ein Anruf vom Vertrieb kommt. Ob ich im April vertretungweise noch eine Straße bedienen könnte? Es sind weitere 288 Zeitungsexemplare, die Straße ist direkt nebenan, ich checke die Häuser auf einem Spaziergang. Gut, machen wir. Noch etwas mehr „Gehalt“, obwohl ich es (ja, ich kokettiere) nicht nötig hätte.

Auf, auf, die Arbeit ruft! Innenstadt-West wartet auf News

Obwohl in der „neuen“ Straße reichlich Zeitungs-Exemplare übrig bleiben, reicht der Rest nicht für die zweite Straße. Hat noch nie gereicht. Trotz vieler „Keine Werbung“-Aufkleber, die ich brav nicht „bediene“ – es fehlt immer was. Ich sag aber nix. Ich wär ja blöd. Plötzlich 350 Exemplare statt 302? Und das, wo mir in den Hausfluren entsetzliches Desinteresse angesichts meiner vorigen Lieferungen entgegenschlägt? Die da nämlich auch nach drei Wochen noch rumliegen? Nöööö!

Neuer Anruf vom Vertrieb: Im Mai bleibt mir die Zusatztour erspart, der Zusteller ist wieder gesund und einsatzbereit. Ich benutze den Anruf, um meine Kündigung anzukündigen. Großes Geheule, zumal „meine“ Straße schon vorher lange Zeit nicht durch einen Zusteller bedient wurde.

Kann ich doch nix für. Wenn bei 16 Mietparteien kein einziger je für den Zusteller aufmacht? Kein Wunder, dass alle kündigen. So wie ich jetzt.

Nummer 4 inzwischen bekannt. Obwohl immer jemand öffnet, steht an allen acht Briefkästen im Flur „Keine Werbung oder Zeitungen“. Ignoranten. Dann halt nicht. Dennoch reicht die Anzahl nicht immer.

Einige Türen in der Straße haben eigene Klingelschilder „Post“, ein Druck aktiviert den Türöffner, das ist sympathisch. Natürlich würde dieser „Trick“ auch Nicht-„Post“-Kriminellen im Wortsinn Tür und Tor öffnen. Nur: Die gibt es hier nicht. Erstens ist nix zu klauen, zweitens ist es nicht Berlin, drittens existiert hier eine Polizei.

Solche Klingelschilder deuten nicht auf großes Interesse am „Wochenkurier“ hin. Eher auf Interesse an überhaupt gar nichts

Genug Polemik: Eines der nächsten Häuser ist immer offen, Türgriff drücken, im Flur die Briefkästen bestücken und wieder raus. Aber jetzt fehlt der Türgriff innen, ich bin eingeschlossen.

Ritual auf der Zeitungs-Tour: Die Katze am Grundstück Nr. 34 muss gekrault werden

Öde. Letzten Samstag war der Türgriff noch da, jetzt nur noch ein Vierkant-Stab. Das Werkzeug im Flur hilft nicht weiter. Seltsam: Ich bin ja in keiner Bauruine, sondern in einem Haus mit perfekten Klingelschildern und Briefkästen. Ich breche die Holztür zum Innenhof auf, im zweiten Stock hört mich wer, kommt mit dem Schlüssel hinunter. „Vor zwei Stunden war der Türgriff noch da.“

Anders als der ist das Fahrrad noch da. Ist ja nicht Berlin.

Noch viermal Austragen, dann ist gekündigt. Leckt mich doch.

Interessanter ist das Mitwerkeln an der neuen Stadtteilzeitung. Für die 2. Ausgabe, die nächste Woche erscheint, habe ich immerhin zwei Artikel beigetragen. Nicht besonders bedeutend, aber 2000 Leser werden sie begeistert verschlingen. Mehr Auflage hamwa nich.

Und ein E-Bike habe ich bekommen.

Ha! Da ist es! In den Briefkasten passte es nicht. Aber das haben Fahrräder wohl gemeinhin so an sich

Die gebirgige Situation dieser Stadt war ja schon hier Thema, nun ist Schluss mit der allgegenwärtigen Erschöpfung. Gerade wenn man nach Polen runterfährt. Und dann wieder rauf.

Menschen in Berlin oder Köln können sich womöglich nicht vorstellen, in welche entsetzlich tiefe Schlucht sich die Neiße hier in Görlitz eingegraben hat. Und dann am anderen Ufer zur polnischen Lubanska-Straße hoch – entsetzlich.

Daher habe ich jetzt ein E-Bike.

Mit „Damen-Einstieg“.

HÄH?

Ja, natürlich.

Praktiker wissen, dass man im Alter beim ungelenken Aufstieg aufs „Herrenrad“ den Einkaufskorb hinten mit herunterreißt. Pierogi, Kapusta, Kielbasa, das landet alles auf dem Supermarkt-Parkplatz.

Dazu das gebirgige Görlitz. Ein E-Bike musste her.

Schockierende Preise. Eine Mail meines früheren Arbeitgebers hilft: „Corporate benefits“, es gibt einen heftigen Rabatt. Ich darf keine Details nennen, da ich sonst vom Geheimdienst verhaftet und erschossen werde.

Das E-Bike funktioniert perfekt, Zeit, mein altes zu verkaufen. Drei lose Speichen will ich dafür wieder befestigen lassen. Kurz-Besuch beim „Bike Cube“.

Der Laden, der offenbar keinen deutschen Namen fand, gibt mir einen Termin, der einem für eine Herztransplantation gleicht. Es geht, wohlgemerkt, darum, drei Speichen mit einem speziellen Mikro-Werkzeug wieder in der Felge zu befestigen.

Die Minuten-Fummelei soll sieben Wochen dauern. Wie beim überlasteten Facharzt wird mir ein Termin am 11. Juni angeboten. Noch mal: HÄH?

Ich radele ein Stück. Zum „Radwerk“. Erstens hat es einen deutschen Namen, zweitens wird dort nach deutschem Muster gearbeitet: „Philipp? Hast Du mal Zeit wegen Speichen?“

„Nee, noch nicht. In 30 Minuten wohl.“

Na bitte.

Okay, es kostet etwas. Werde ich auf den Preis aufschlagen. Frage jetzt: Wer will es haben? Auf Ebay gibt es tatsächlich zwei Gesuche. Einem schreibe ich, bislang ohne Antwort.

Und der zweite? Tja, in der gebirgigen Oberlausitz interessieren sich nur wenige für ein Rad ohne E-Unterstützung. Wohl nur Leute wie Eddy Merckx, Didi Thurau, Lance Armstrong oder so. Der zweite Interessent sitzt im ebenso hügeligen Zittau, 30 km entfernt.

So ein Slice.