Undercover – Versuch eines Besuchs

Kurz vor 18 Uhr. Ich bin viel zu früh.

Neben dem Eingang zum Schankraum des Lokals „Nachtschmied“ führt eine Treppe in den 1. Stock. Der Raum ist noch leer, bis auf eine Menge Stühle. Ein Herr vertröstet mich auf 18.30 Uhr. Punktgenau dann wird Einlass sein, so stand es ja auch auf den Zetteln in der Zeitung, den Anzeigen und sogar auf Facebook.

Also noch Zeit für ein Weizenbier im Schankraum des „Nachtschmied“. Gepfefferte Preise. Der zweite Grund, dieses Lokal nicht mehr zu besuchen. Obwohl das Personal freundlich und flink ist.

Der erste Grund ist, dass in knapp einer Stunde die AfD dort oben im 1. Stock ihre „Ideen für Sachsen“ verkünden wird. Anders als in links-grünen Metropolen wie z.B. Berlin scheint es für die blau-roten Rechten hier keine Probleme zu geben, ein Lokal zu chartern. Mit nicht ganz dem erwünschten Publikumserfolg, wie sich später herausstellt.

Erst mal sitze ich beim Weizenbier. Da der letzte freie Tisch reserviert ist, darf ich mich zu einem älteren, gewiss Rentner-Paar setzen, das genüsslich eine Suppe löffelt.

Der „Nachtschmied“: alt (von 1870), „urig“, nicht billig und keine Berührungsängste mit der AfD (Foto: zum-nachtschmied.de)

Was will ich hier? Und warum bin ich dazu sogar in die „City“ gewandert? Fahrrad geht mir ja zu bergauf.

Na ja, ich hab heute grad nichts anderes vor.

Okay, eine Entschuldigung ist das nicht. Andere haben auch grad nichts vor. Und die werden dann gleich Mitglied und wählen diese Partei auch noch in den Bundestag.

Nein, ich will unter einem harmlosen Deckmantel (heute sogar mit Krawatte) live mit anhören, wie diese seltsame „rechte Kultur“ in die Stadt schlich, die ich in zwei einschlägigen Pinten mit gespitzten Ohren mitkriegen kann. Dieser Text entsteht in der dritten, wie erwähnt etwas teurer, aber nazifrei.

In einer der anderen musste ich hören, das Viertel sei „kanakenverseucht“.

„Na, na!“, weise ich ihn zurecht.

„Ja, schon gut“, erwidert er. „heißt ja ursprünglich nur ,Mensch‘ oder ,Volksangehöriger‘.“

Ja, wenn er es eh weiß (Respekt!), warum dann diese Töne?

Tatsächlich gibt es dort unten, im noch nicht schick sanierten Gebiet, einige dieser Menschen bzw. Volksangehörigen. Sie sehen nicht sofort wie, ich wähle mal total unwillkürlich und zufällig Vornamen, also wie Alexander oder Alice aus. Eher wie Ahmet oder Ayse.

Na und? Ich sehe auch nicht wie Vittorio oder Giuseppe aus (eher wie Cary Grant) und wurde trotzdem in Italien nett behandelt.

18.12 Uhr. Noch Zeit bis zum Einlass. Eine Zigarette draußen. Schon viele Leute haben sich auf dem Pflaster versammelt. Ein Einziger sticht etwas hervor. Auf seinem schwarzen T-Shirt unter der Jacke irgendwas in Frakturschrift. Das Outfit erinnert an zwei gewisse Kneipen, wo man sich gegenseitig wortlos mitteilt, wes Geistes Kind man ist. Alle anderen sehen total friedlich bürgerlich und normal aus. Genau das ist ja das Gefährliche.

Gern würde ich erforschen, wie das rechte Gedankengut in die Mitte der Bevölkerung sickerte. In 10 Minuten ist Einlass. Mal zurück zum Bier. Zwei stämmige Ordner wollen mich trotz Krawatte nicht zur Treppe lassen. Will ich auch gar nicht. Erst Bier austrinken. Herrje, kriegt euch ein.

Was mag den Wirt des hübsch altmodischen, wenn auch teuren Lokals veranlasst haben, der AfD im Stockwerk darüber eine Bühne zu bieten?

Eine Antwort darauf bietet vielleicht die Sitzverteilung im Stadtrat. Die AfD bildet mit 11 Sitzen (30,8%) die größte Fraktion. Und dass der CDU-Bürgermeister gebürtiger Rumäne ist, unterstreicht zwar die Weltoffenheit der Europastadt Görlitz. Aber bei ideologisch verfestigten „Rechten“ macht es das kaum besser, eher schlimmer..

Zu trauriger Berühmtheit kam im vergangenen Jahr Robert Chylla, Inhaber des Lokals „Zur Schwarzen Kunst“ in der Neißstraße, nur wenige Minuten vom „Nachtschmied“. Ein kleiner Fußmarsch nur. Na ja, in Görlitz ist alles klein.

Groß dagegen war der Aufruhr, als ein Kassenbon des „Zur Schwarzen Kunst“ im Internet verbreitet wurde. Hier ein Link dazu.

Madame „Pili“ aus Krefeld, vorab von Tarzan mit diesem Foto versorgt, fragt entsetzt, wie so was in Deutschland erlaubt sei.

Und ich frage mich, wieso Jörg Urban, Vorsitzender der AfD Sachsen, jetzt vom Tresen kommt und das Rentner-Paar neben mir ganz herzlich und jovial grüßt. Und die grüßen ebenso begeistert zurück. Herrje, ich dachte, sie seien „nur“ brave, Suppe löffelnde Zufallsgäste.

Jörg Urban trägt eine rote Krawatte, wie auf allen Anzeigen und Info-Zetteln auch. Sicher hat er mehrere davon.

„Ideen für Sachsen, Kernkraft für Sachsen“. Der Programmpunkt „Migration“ erschien wohl zu heikel. Für AfD wie auch Zeitung

Ich habe nur eine pro Farbe, heute ist sie dezent grünlich-beige gemustert. Jörg Urban schließt daraus, dass ich wohl ein rechter, also „rechter“ Spießer sei und grüßt auch mich lächelnd, ich nicke freundlich zurück. Den Kopf wegdrehen oder ihm den Mittelfinger zeigen wäre kontraproduktiv. Schließlich will ich ihm gleich folgen und seinen „Ideen für Sachsen“ lauschen.

Und versuchen herauszufinden, durch welche Rhetorik das AfD-Gedankengut in die schönste Stadt Deutschlands gesickert ist.

Auf geht’s. Mein Weizenbier ist alle, punktgenau zur Einlasszeit 18.30 Uhr.

Nein, es ist 18.31 Uhr.

Die stämmigen Ordner vor der Treppe machen mir unmissverständlich klar, dass ich sie nicht mehr erklimmen darf.

„Bitte, was? Jetzt ist genau Einlass.“

„Ja, aber wir haben abgezählt. 60 Leute sind oben, mehr gehen nicht rein.“

Draußen stehen sich immer noch Anhänger die Füße platt.

„Und die da vor der Tür? Wieso warten die da auf Einlass? Sie können doch nicht in knapp einer Minute 60 Leute die Treppe hochgelassen haben?“

„Wir haben 60 gezählt, mehr geht nicht. Der Raum ist voll.“

Punkt. Zackig. Deutsch. Arisch.

Der breitschultrige Ordner rät mir, „in die Kommunalpolitik“ zu gehen. Dort könne ich dafür sorgen, dass künftig größere Räume bereitgestellt würden. Auf eine Diskussion über den Nutzen von Sporthallen und über den von AfD-Veranstaltungen verzichte ich.

Noch eine Zigarette draußen, zwischen den immer noch wartenden Menschen. Auf was warten die? Der Raum ist nun mal voll. Es ist Physik: Wo ein Körper ist, kann kein anderer sein. Sicher zu hoch für die wartenden Gläubigen.

Auftritt Sebastian Wippel. Der Ex-Polizist (!) und AfD-Abgeordnete im sächsischen Landtag entschuldigt sich bei den „Fans“ vor der Tür für den Platzmangel. Er trägt keine Krawatte und hat einige Eklats hinter sich, nachzulesen hier.

Das wartende Volk lauscht bedrückt. Auch als Wippel wieder drinnen ist, harren sie aus.

Offenbar haben sie gar nicht begriffen, dass der Raum oben voll besetzt ist, und was Sebastian Wippel ihnen überhaupt gerade eben erklärt hat.

Nun ja. Es sind eben AfD-Anhänger.

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