In einem anderen Land

Guten Abend, Auftakt zum Wochenende.

Zeit für einen neuen Blog-Beitrag. Schon, um der wachsenden Zahl der Follower (willkommen, Frau K., Myriade und ganz frisch veithauszleitner) was zu bieten.

Heute geht es um Migranten, Zuzügler, also im weitesten Sinne Ausländer, das noch aus dem arabischen Raum, und um Israel. Könnte also brisant werden.

Wird es aber nicht. Kein „Eye-Catcher“ à la „Brennende Israel-Flaggen in Neukölln“. Denn das ist nicht mehr mein Umfeld (wobei sich übrigens die Frage stellt, warum sich Israel-Hasser für ihren Krawall auf der Neuköllner Sonnenallee eigens Israel-Flaggen beschaffen, um sie medienwirksam anzuzünden).

Mir doch egal. Ich bin jetzt in einem anderen Land. Es nennt sich Sachsen.

Knapp zwei Monate bin ich nun hier in Görlitz, kenne den Weg zu den Baumärkten auswendig und finde mich inzwischen nahezu blind in den Gängen zurecht.

Blind, ah ja. Wer hier eines der bei Tarzan üblichen Filmzitate erwartet: Kürzlich lief: „See for me“, ein fieser Schocker à la „Wait until dark“ (1967, von Bond-Regisseur Terence Young.

Ein blindes Mädel macht „Housesitting“, Katze füttern und so, bei einer verreisten Familie. Gestählt durch ihr Handicap, kann sie sich schnell im Haus zurechtfinden. Aber in der ersten Nacht kommen Einbrecher. Nur mithilfe der Handy-App „See for me“ kann sie den Männern in der geräumigen, unüberSICHTlichen Villa (haha, musste sein) immer wieder entkommen …

Sorry fürs Abschweifen. Ich selbst sehe ja noch recht gut. Aber nicht mehr lange. Nach zwei Monaten Görlitz drohen mir die Haare über die Augen zu hängen. Während emsiger Baumarkt-Besuche, gefolgt von Bauen und Einrichten, vergaß ich total, dass nicht nur man selbst an seinen Aufgaben wächst, sondern auch die Haare. Und als dann endlich das Duschvorhang-Gestänge von der Decke hängt (komplizierter Altbau), mache ich wieder mal einen Spaziergang in die City. Zum Friseur.

Praktisch: Wer zwischen Freitag und Montagfrüh im „Kings Pub“ versackt, stylt sich nebenan arbeitsfertig. Inklusive Rasur natürlich (Foto: Google Street View)

Friseure gibt’s natürlich viele. Doch aus irgendeiner nostalgischen Idee heraus besuche ich einen Mini-Barbier, gleich neben dem „Kings Pub“, in dem ich neulich erst mit dem Berliner Publizisten Matthias Gerschwitz saß. Der Kultur wegen.

Es ist ein bisschen Kreuzberg/Neukölln. Da, wo ich früher in Berlin hinging, wenn die Haarpracht jener der allgegenwärtigen Drogen-Wracks zu ähneln drohte. Ein Typ, den ich wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Rapper insgeheim „Bushido“ nannte, stylte mich dort immer recht okay.

Nun also im braven Görlitz. Der „Barbier“ (Kurde? Syrer? Jordanier?) schnippelt mich routiniert wieder zu einem ansehnlichen Bürger der Stadt. Ein Hauch „Bushido“ auch hier: Aber die Rap-Musik im Salon ist voll der Mist.

Ein „Barbier“ ist in erster Linie für den Bart zuständig. Den schreibt die islamische „Sunna“ zwingend vor. Meinetwegen. Die Top-Künstler unter den Barbieren dürfen auch frisieren. Mich zum Beispiel. Die Umgangssprache im Salon ist sehr arabisch, aber der bärtige Meister kann dem Neuling meine Ideen effektiv übersetzen. Und der trägt gar keinen Bart. Hat er die „Sunna“ nicht gelesen?

Oben links ist nicht genug abgeschnitten, aber möglicherweise ist das in der „Levante“ so üblich. Ähnliches bemerkte ich in Berlin, wenn „Bushido“ grad verhindert war.

Um viele Haare erleichtert, betrete ich wieder die „Meile“ von Görlitz, eine Bäckerei verspricht Stärkung. Nicht die vom „Café Central“ wenige Meter entfernt, ich bevorzuge eine, wo man nicht pampig weggeschickt wird, sondern Kaffee- und andere Wünsche erfüllt werden.

Noch nicht dunkel? Fein, der Frühling naht. Wandern wir noch etwas umher, durch den tauenden Schnee, der mit den Plus-Graden nach und nach verschwindet.

Hinterm Rathaus geht es zum „Heiligen Grab“. Hier müsste theoretisch Jesus begraben sein. Aber irgendwas stimmt nicht. Erstens ist er ja gar nicht begraben, sondern auferstanden („Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier“, Lukas 24,5-6).

Und zweitens: Ist (wäre?) SEIN Grab nicht eigentlich in Jerusalem? Das „Heilige Grab“ Jesu hier im sächsischen Görlitz? Es ist grad geschlossen, sonst würde ich das Rätsel sogleich lösen. Oder zumindest lösen wollen.

Ja, da weiß ich jetzt auch nicht. Bin spirituell etwas verunsichert. Also Recherche.

Aha: Jesus ist tatsächlich nicht hier in Görlitz begraben. Der spätere Görlitzer Bürgermeister Georg Emmerich soll 1465 eine Pilgerreise nach Jerusalem unternommen haben. Aufgrund seiner Vermessungen entstand hier eine Art „Pilgerweg“, jenem in Jerusalem nachempfunden. Angeblich ist dieser – nach baulichen Veränderungen im fernen Israel – sogar heute „authentischer“ als der damalige im Heiligen Land. Das kann ich, mangels Reise-Erfahrung, nicht beurteilen. Ich war bisher nur in New York und Königs Wusterhausen. Man kann nicht überall sein.

Ich wandere noch etwas durch die Schneereste im „Kidron“-Park, am Ölberg (!) vorbei und lande an der „Rabryka“.

Nicht „Fabryka“, wie es auf Polnisch heißen würde, nein, es ist die „Rabryka“. Ein Wortspiel aus „fabryka“ und „rot“, die Farbe der alten Backsteinbauten auf dem Gelände. Also nix mit Kommunisten oder so.

„Das Team besteht zu einem großen Teil aus jungen Leuten
mit einer Weltverbesserer-Mentalität.“ 

Ich finde an diesem verschneiten trüben Tag kein Team, das mit mir die Welt verbessern möchte. Kein Problem, bin ja selber gerade dabei, brauche da keine Gesellschaft.

In der sehr leeren „Rabryka“ finde ich eine Ausstellung, die sich mit Problemen Zugereister befasst. Eine Handy-App mit „Aufgaben“ wird angeboten. Ich verzichte auf neue Aufgaben, bin ja noch mitten im Polnisch-Kurs („Mezczyzna i kobieta jedzo chleb“). Schwer genug.

Hier, in der „Rabryka“ aber, in dieser temporären Ausstellung, wird klar, wie schwer es erst „Immigranten“ in Deutschland haben. Es gibt hier keine polemischen Aussagen zu Einwanderern, auch keine Kommentare, z.B. über eine frühere Kanzlerin.

Nein, es wird sachlich auf Schautafeln erklärt, was in Deutschland Sache ist.

Oder Sache sein könnte.

Ein „modifizierter“ Münchner U-Bahn-Plan. Ja, da oben ist ganz klar Garching. Aber zum Isartor müsste man am Marienplatz umsteigen. Augsburger oder Rosenheimer hätten hier womöglich Probleme

Eine angebliche „Islamisierung“ wird weder angeprangert noch propagiert. Im Gegenteil gibt’s was zu lernen:

Es ist eine stille Ausstellung.

Eine, die zum Nachdenken anregt.

Wir haben nicht nur „Immigranten“, die nichts weiter im Sinn haben, als Deutsche zu töten. Wir haben „Immigranten“, die ohne Führerschein herkamen und heute in der Innenstadt Bus fahren.

Und wir haben “Twitter“-Poster, die schamlos unter Echt-Namen schreiben: „ich sah einen Neger Bus fahren. Darf der das, wie ist das möglich?“

Natürlich darf der das, du Arschloch. Mach doch selber den Führerschein.

So viel für heute zu Görlitz. Es ist dunkel geworden, Zeit für den Heimweg. So richtig Aufregendes und Entsetzliches gab es nicht.

Aber genau das macht Görlitz ja aus.

Ein Gedanke zu “In einem anderen Land

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